Samstag, 3. Dezember 2016
Leere Versprechungen
Wie lautet das wohl leerste Versprechen von Hotels? Richtig, unangefochten auf Platz 1 der Hitliste steht die Hotelregel, die in etwa fast immer wie folgt lautet: "Das Reservieren von Liegen ist aus Rücksicht den anderen Gästen gegenüber untersagt. Wir werden reservierte Liegen konsequent frei räumen." Ein solches Hotel zu finden hat in etwa den gleichen Schwierigkeitsgrad wie die Quadratur des Kreises oder der Bau eines Perpetuum Mobile. Es würde mich offen gesagt auch sehr verwundern, wenn ich in einem Hotel morgens in aller Herrgottsfrühe auf dem Weg zum Frühstück keinem einzigen mit Handtuch und Badetasche bewaffneten Menschen begegnen würde, dessen Blick mich abschätzend trifft um herauszufinden, ob ich wohl eine ernsthafte Konkurrenz für ihn darstellen könnte. Wenn mein Gegenüber dann das Fehlen sämtlicher Reservierungsutensilien meinerseits bemerkt, beruhigt es sich meist ein wenig, nur um gleich darauf wieder gehetzt zurück zur Treppe zu blicken, wo gerade ein weiterer Gast mit Handtuch erschienen ist. So etwas bringt immer Unruhe in die Herde der Liegenreservierer. Mit ihrer leicht nervösen Art erinnern sie ein wenig an die Erdmännchen im Zoo. Nur dass ihnen deren niedliches Aussehen völlig abhanden geht. Manchmal überlege ich ja, ob ich nicht einfach mal ein Handtuch mit zum Frühstück nehmen sollte. Heute hatte ich das Vergnügen, ein besonders prächtiges Exemplar dieser Gattung in seinem gewohnten Lebensraum zu beobachten. Als wir gegen zehn Uhr an den Pool kamen, waren die beiden Liegen neben uns bereits fein säuberlich mit je einem Hotelhandtuch bezogen. Die Kanten waren genauestens ausgerichtet und alles gleichmäßig straff gespannt - beste Zimmermädchenarbeit! Quer über beide Liegen war eine Badetasche drapiert, exakt im Verhältnis fünfzig zu fünfzig. Ich nickte anerkennend und nahm auf meiner einfach hergerichteten Liege Platz. Von Stunde zu Stunde wuchs nun meine Neugier auf unsere ominösen Nachbarn, die anscheinend einen gewissen Hang zur Präzision aufwiesen. Wahrscheinlich Deutsche. Oder Schweizer. Es geht doch nichts über Vorurteile. Meine Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Erst viele Stunden und fast einen Sonnenbrand später erschien endlich eins der offensichtlich sehr scheuen Geschöpfe. Es war ein dickbäuchiger älterer Herr, dessen Haare im Laufe der Jahre entschlossen hatten, ihren angestammten Platz auf dem Kopf aufzugeben, um sich auf dem restlichen Körper niederzulassen. Augenscheinlich weil sie dort Lebensraum in ungeahnten Weiten und Breiten vorgefunden hatten. ‚Endlich ein Gesicht zum Arschloch‘, dachte ich freudig, während er pünktlich eine Stunde vor Schließung des Pools seine Badehose neben mir entblößte, seine Kleider auf einer Liege drapierte und zielstrebig Richtung kühles Nass ging. Das Sonnenbaden wollte er sich scheinbar erst einmal verdienen. Wo nur seine Frau blieb? Kurze Zeit später kam er wieder zurück, entnahm der Tasche ein weiteres Handtuch und trocknete sich sorgfältig ab. Manche Menschen sollen ja keine nassen Liegen mögen. Vielleicht gehörte er auch dazu, dachte ich. Doch was tat er jetzt? Er wird doch nicht… Und tatsächlich, genau das tat er. Er packte das Handtuch wieder in seine Tasche, danach seine Kleider und zum Finale dann die beiden Tücher über den Liegen, die bis dahin stoisch seine Besitzansprüche vertraten. Er hatte also bereits morgens zwei Liegen den gesamten Tag über belegt, nur um die Möglichkeit zu haben, jederzeit darauf zuzugreifen, wenn ihm und seiner Frau danach war. Falls er überhaupt eine Frau hatte und die zweite Liege nicht für sein übergroßes Ego gedacht war. Als er ging ließ er mich fassungslos zurück. Ich suche heute noch nach den passenden Worten, um diese Dreistigkeit, diesen Egoismus, diese Unverschämtheit und diese Respektlosigkeit auszudrücken. Bisher sind mir nur diese eingefallen: So ein Arschloch!
Übrigens war er weder Deutscher noch Schweizer. Ich sollte mir also bei Gelegenheit mal einen Satz neuer Vorurteile zulegen.

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